“Wissen Sie was, letzte Nacht wollte ich lachen, ununterbrochen lachen, immer nur lachen, ganz laut, unentweg immer nur lachen, HA! HA!”
Das ist, woran ich mich erinnern kann, das ist, was auf der Leinwand im ziemlich dunklen Raum geschrieben steht, in dem große weiße Sitzsäcke verstreut auf dem Boden liegen, deren Oberfläche unangenehm kratzt, wenn man mit der Hand darüber streicht und auf denen, man kann es nicht anders ausdrücken, einige Vereinzelte herumlümmeln, Verlorene wie ich, ausgezehrt und erschöpft und erschlagen vom Überangebot; das ist, was übrig bleibt von der Langen Nacht der Opern und Theater.
Am Anfang war das Plakat. Und die Flyer und Broschüren, alles ansprechend designt, ganz groß die vielfache Dopplung der Vokale, also zum Beispiel “Unterweeeeeeeeeeeeeeeegs” oder “Prograaaaaaaaaaamm”, tatsächlich originell, da bleibt der Blick daran hängen und das will was heißen im Bilderdschungel Berlin. Analog zu Großevents wie der Langen Nacht der Museen, der Langen Nacht der Wissenschaft und nicht zuletzt der Langen Nacht Neuköllns (wie wäre es mal mit der Langen Nacht der Spätverkäufe? Kleiner Scherz am Rande…) nun also das Pendant der Bühnen. Sechzig davon laden an einem Samstag im April von 19.00 bis 1.00 Uhr zu einem vielfältigen Programm ein. Sieben Shuttlebusrouten sorgen dafür, dass die Besucher praktisch und schnell von einem Theater zum nächsten kommen und das, denkt man sich, das ist eine wirklich kluge Idee, die sich die Eventplaner da ausgedacht haben, denn von vielen der Häuser hat man noch nicht einmal gehört und alle sind quer über die Stadt verteilt und die Distanzen sind teilweise immens. Umso mehr freut man sich auf abseitige Erlebnisse abseits der, wenn auch selten enttäuschenden, so doch immer gleichen Stadttheater. Und all das zum fairen Preis von zehn Euro, der sich absolut mit dem studentisch stets kanpp bemessenem Budget verträgt.
Soweit die Theorie.
Nach dem erfolgreichen Erwerb des Tickets im Maxim Gorki – mit einem kleinen süffisanten Lächeln auf den Lippen: “Denn sie wissen nicht, was sie tun heute Abend, die Vorstellungen hier werden schließlich, daran besteht kein Zweifel, hoffnungslos überfüllt sein und was man sich da an anderer Stelle entgehen lässt!” – geht es los zur Brotfabrik, einer kleinen Spielstätte im Norden Berlins. Natürlich kommt man erst einmal zwanzig Minuten zu spät, das soll jetzt auch gar nicht der BVG zugeschoben werden, schließlich hätte man ja den eingangs erwähnten Shuttlebus in Anspruch nehmen können (hätte man nicht, aber das weiß man zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht) – man hat also ziemlich perfekt das Tanztheaterstück “WG” verpasst. Immerhin finden sich im bereits jetzt bedenklich straffen Zeitplan fünf, sechs Minuten für die Ein-Frau-Performance im Vorraum, deren Protagonistin hier leider nicht namentlich erwähnt werden kann, weil sie unter die Kategorie “Zahlreiche kleine theaterale Überraschungen im ganzen Haus” zu fallen scheint.
Weil man sich noch heute gerne erinnert, beinahe zurücksehnt zu diesem herausragenden Theaterabend namens “Kommunalka – Ein Osteuropa Spektakel”, bei dem sämtliche Räume des Ballhauses Ost im vergangenen Sommer von osteuropäischen Mitbürgern jeglicher Art bespielt wurden und der schließlich endete in einer wodka-seeligen Runde im original möblierten Wohnzimmer einer polnischen Familie und der an dieser Stelle noch einmal ein verdientes Lob erhalten soll (Na zdrowie!), deswegen ist die nächste Station die Pappelallee. Wo fährt nun bitte dieser Shuttlebus ab? Nach ermüdender Suche entscheidet man sich doch wieder für “Die Öffentlichen”, was einen sage und schreibe eine Stunde und fünfundreißig Minuten seiner knapp bemessenen Theaterzeit kostet.
Endlich angekommen im Ballhaus öffnet sich exakt in diesem Moment die Tür zum Theatersaal, weil nämlich wieder genau jetzt die Vorstellung, die man eigentlich hatte besuchen wollen, zu Ende ist. Immerhin gibt der Statist? Schauspieler? Besucher? im Raum nebenan eine Runde Sternburger aus, was dann als Wegbier dient für den wirklich langen Weg, der nun folgt, denn: Die Bushaltestelle, respektive der Weg dorthin, den einem das Mädchen mit dem Aufdruck “Infooooooooooo” auf dem T-Shirt beschrieben hat, erweist sich als so nicht ganz korrekt, um genau zu sein völlig absurd und weitet sich zur nächtlichen Odysee durch den Prenzlauer Berg aus, aber gut, so hat man wenigstens mal wieder die Kastanieallee bei Dunkelheit gesehen. Nebenbei bemerkt, ziehen während dieses einstündigen Fußmarsches drei der mysteriösen Shuttlebusse an einem vorüber, es gibt sie also doch – aber wo man zusteigen kann, bleibt ein Rätsel.
Spät, sehr spät erreicht man schließlich die Volksbühne, in einem mehr oder weniger desolaten Zustand, denn man hat bis zu diesem Zeitpunkt kein einziges Stück gesehen und mittlerweile sind die meisten Programmpunkte beendet und so bleibt nichts übrig als frei nach dem Motto “Wo man singt, da lass dich nieder” sich im wahrsten Sinne des Wortes niederzulassen auf eben jenen kratzigen Sitzsäcken und sich den gewohnt konfusen Castorff-Film anzuschauen und dabei die gesamte Berliner Kulturszene und am allermeisten die Organisatoren der Langen Nacht der Opern und Theater dafür zu hassen, dass man Blasen an den Füßen hat (kein Scherz) und das Theater zwar stattgefunden hat, aber eben nicht in den Theatern selbst, sondern auf dem Weg dorthin und dazwischen.
In naher Zukunft wird man ein wenig getröstet werden von der gelungenen Abschluss-Party, ebenfalls in der Volksbühne, was schön ist, aber auch ein wenig traurig, denn dass man in Berlin weiß, wie man Parties organisiert, ist ja nichts Neues, aber warum nicht auch eine ordentliche Kulturnacht?
Das Theater liegt also wieder mal auf der Straße. Ich dagegen liege auf dem Sitzsack, mit dem Sterni in der Hand und den Gedanken ganz woanders.
Das ist, was übrig bleibt.