Facebook hat mir unrealistische Vorstellungen von Freundschaft vermittelt

Wenn es mal den idealen Ort gab, um reale Freundschaften zu pflegen, dann war es das KPTN in der Simon-Dach-Straße. Man braucht ja als WG unbedingt eine Stammkneipe (die Bezeichnung “Kneipe” hat keine Daseinsberechtigung, außer in Verbindung mit “Stamm-“), wohin man sich zurück ziehen kann, wenn es sein muss jeden Abend. Dabei gilt die Faustregel: Je näher, desto besser! Noch viel früher, in der Prä-KPTN Ära sozusagen, war dieser Ort für mich das “Moviemento”, was umso toller ist, weil das “Moviemento” ein Programmkino ist und wir, das heißt meine damalige WG und ich, irgendwann rausfanden, dass Bewohner des Hauses immer freien Eintritt haben. So kam es, dass wir manchmal nach dem Abendessen noch mal “auf ein Filmchen” zwei Stockwerke runtergingen, wie andere auf ein Bierchen. Nach dem Umzug dann also wieder die drängende Frage: Wohin mit sich selbst und den anderen und allen, die wir kennen? Anno 2009 setzte sich das KPTN gegen die übergroße Konkurrenz durch (schließlich wohnen wir im “Kneipennest”, auf dem Ballermann Ostberlins): Aufgrund seiner Nähe zur eigenen Wohnung, seiner unschlagbar billigen Getränkepreise (Wodka-Rhabarber 0,4 l für 2,70 €) und des Kickertisches, auch wenn ich mich da immer vornehm zurückhielt (außer, es ging um die Gewinnbeteiligung beim Kickerturnier). Irgendwann, anders kann ich es mir nicht erklären, muss unser “verlängertes Wohnzimmer” (auch so eine dümmliche Redewendung, aber es trifft die Sache gut) Eingang in den “Lonely Planet” gefunden haben, vor allem in den Spanischen. Es ist jetzt immer voll, es gibt neuerdings Pfand auf Gläser und leider auch auf die schönen Weinkaraffen und es kann schon passieren, dass man erst mal auf Englisch gefragt wird, was man trinken mag. Das macht mich traurig und wütend, was natürlich insofern problematisch ist, als dass ich selbst den Status einer “Zugezogenen” habe und die mag man als Berliner genauso wenig wie die saufenden Spanier, vor allem nicht die Süddeutschen! Das Jammern über die hohe Touri-Dichte schmeckt noch dazu sehr nach Gentrifizierungs-Larmoyanz und nach Freizeit-Snobismus – aber hilflos sehe ich mich mit meinen kleinlichen Unzulänglichkeiten konfrontiert.

Dabei soll es hier gar nicht um die Vertreibung aus unserem Kickerparadies gehen, sondern um etwas ganz anderes. Das war nämlich so: Am Ende einer mittellangen Nacht strandeten meine Freundin und ich wie schon unzählige Male davor in eben dieser unserer ehemaligen Stammkneipe. Ein letztes Gläschen Dornfelder (früher 2 €, jetzt 2, 20 €!) sollte uns den Heimweg erträglicher machen. Plötzlich an der Bar stand da einer und begann, mir Dinge zu erzählen, die konnte er eigentlich gar nicht wissen. Weil, den da, den kannte ich nicht! Je mehr Details er zum Besten gab, desto skeptischer wurde ich. Bis zu seinem Ausruf: “Aber wir sind doch bei Facebook befreundet!” Also nein, da musste jetzt wirklich ein Missverständins vorliegen! Also wirklich, das wüsste ich! Weil dies aber schließlich nicht nur das Zeitalter von Facebook ist, sondern auch das Zeitalter des Smartphones, hielt er mir selbiges unter die Nase und wirklich, ich hatte es weiß auf blau: Meinen eigenen Namen in seiner Kontaktliste. Eine Peinlichkeit diesen Ausmaßes versucht man am Besten gar nicht erst kleinzureden. Es hilft da nichts mehr als Reue zeigen und Beschämung.

Facebook – Noch so eine Kerbe, in die ich eigentlich nicht hauen mag. Selbst meine Eltern sind mittlerweile entweder Mitglied oder überzeugtes Nicht-Mitglied, wegen Datenklau und so. Jeder Grundschüler, der ja zugleich ein digital native ist, weiß mittlerweile, dass Facebook Dir hilft, Deine sozialen Kontakte auf die Reihe zu kriegen, aber auch mit perfiden Maßnahmen daran arbeitet, Dich zum gläsernen Bürger zu machen. Es gibt die Freunde (die echten, meine ich), die sich abmelden, weil sie jetzt endlich nach einem Selbstfindungsprozess glauben, über der Sache zu stehen; es gibt die Freunde, die einfach immer online sind und hungrig nach Netzneuigkeiten und Youtube-Videos von Kettensägen-imitierenden-Katzenbabys und Bikinifotos der heißen Kommilitonin schnappen und es gibt die Freunde, die sich jetzt anmelden (hallo, wo wart ihr denn die letzten drei Jahre?), manche davon nur für kurze Zeit: Vor ihrem baldigen digitalen Ableben wollen sie ihr Adressbuch mit der Realität abgleichen, soll heißen, Leute, die sie aus den Augen verloren haben, wiederfinden. Sehr löblich finde ich das.                                  Anstrengend dagegen finde ich diejenigen, die meinen, Facebook sei (bitte einsetzen:) überbewertet/ mainstream/ der Teufel im Eichhörnchenkostüm. Ja schon – aber dann bitte auch konsequent sein mit der eigenen virtuellen Unschuld, also nicht googeln, kein Online Banking, kein ELSTER (das, liebe Leser, ist das Programm, mit dem man seine Steuererklärung online machen kann, freie Fahrt für Datenklau sozusagen) – am Besten, man hört jetzt sofort ganz und gar auf mit dem Internetquatsch.

Warum ich trotzdem auch noch mal in die Facebook-Kerbe haue? Neben oben stehendem Erlebnis, das in Kombination mit anderen Unschönen dazu führte, dass mir die diesjährigen Osterfeiertage als, pardon, ganz besonders beschissen in Erinnerung bleiben werden, gibt es noch ein paar andere lustige Netzwerkgeschichten zu erzählen. Es kann einem zum Beispiel passieren, dass man mutterseelenallein (wo kommt eigentlich dieses bezaubernde Wort her?) durch Südeuropa backpackt und plötzlich einen seiner Facebookfreunde, der ebenfalls in die Kategorie “eher nicht so präsent im realen Leben” fällt, in eben der Stadt antrifft, in der man sich gerade befindet. Nur aufgrund der eigenen Statusmeldung (“Barcelona”), die von einigen geliked und von jenem mit launiger Flapsigkeit kommentiert wurde: “Ich auch.” Und man infolgedessen immerhin einen halben Tag gemeinsam am Strand verbrachte, dabei Freundesfreunde kennenlernte, mit denen man dann den anderen halben Tag Tapas essen ging.

Wie einem Facebook überhaupt eine Vorstellung des leichten Daseins suggeriert! Es ist wie mit der “Random App” – Rest in peace, Steve – die mir bis vor Kurzem tatsächlich vorkam wie die Lösung aller Probleme, so einfach, so genial (weil ich jetzt schon zum zweiten Mal davon berichte, hier ein kurzes Update für diejenigen, die nicht wissen, was es mit der “Random App” auf sich hat: Bei dieser Application fürs Smartphone bestimmt ein Zufallsmechanismus eine Zahl innerhalb einer beliebig großen Zahlenmenge, die man zuvor angegeben und klassifiziert hat. Man schüttelt dazu das iPhone und es vibriert so schön. Es geht also darum, Entscheidungen zu treffen. Also: Gehen wir heute zum Italiener (1), zum Griechen (2) oder zum Vietnamesen (3)? Schüttel schüttel: 2! Die Griechen können es eh besser gebrauchen als die Italiener. Danke!). Aber, was soll ich sagen? Der iPhone Gott gibt, der iPhone Gott nimmt. Nach vier Tagen der kompletten sozialen Isolation kann ich gar nicht genug lobende Worte für das heimische WLAN finden, das verhinderte, dass der Feiertagsfrust noch seltsamere Blüten trieb als meine Idee, die Gardinen zu waschen, den Kühlschrank zu putzen und mir neue Systeme für unsere Küchenschubladen auszudenken. Facebook gab mir das Gefühl, doch irgendwie da zu sein, vielleicht nicht so was von da, aber doch mehr da als ohne.

Es scheint mir also als zeitgemäßer junger Mensch, der ich nun mal bin, in vielerlei Hinsicht nicht unklug, mir dieses Facebook-Ding zu Nutze zu machen. Manchmal fragt man sich schon, wie vorherige Generationen ihre soziale Existenz gemeistert haben. Man müsste halt wieder mit den Brieffreundschaften anfangen. Minimal wehmütig stelle ich mir vor, wie sehr man sich dereinst über den lang ersehnten handschriftlichen Brief des Freundes gefreut haben muss; wie wertvoll das Geschriebene gewirkt haben mag, wie sorgsam es aufbewahrt wurde, in welch groteskem Gegensatz es stand zum wuchernden Datenmüll, der einen heute täglich überrollt. Erinnert sich noch jemand an die schrullige Eigenart des Poesiealbum-Verleihens in der Grundschulzeit? Macht heute keiner mehr, es gibt ja die Timeline. Man hat sich ja nicht weniger zu sagen, als die Leute früher, es ist nur so viel einfacher, das Überflüssige kund zu tun. Die Folge sind dann Statusmeldungen wie “Guten Morgen!” oder “Mein Tageshoroskop” und Nachrichten, in denen man die Mitbewohnerin, die zwei Zimmer weiter sitzt, eine Veranstaltungseinladung für die WG Party am kommenden Wochenende sendet.

Nach vier, fünf Jahren sammeln sich zudem zwangsläufig ein paar jener Kontakte an, die in die Kategorie “Not my business” fallen. Es empfiehlt sich, diese mit dem Label “eingeschränkt” zu versehen und zu hoffen, dass sie nie wieder aufs eigene Profil klicken, weil es schon komisch wirkt, wenn es plötzlich nichts mehr zu stalken gibt. Dann besser den ehrlicheren Weg gehen und die ungeliebte Person löschen: Hinunter damit in den Orkus der virtuellen Freundschaften! Und auch der Analogen, denn wer mich bei Facebook löscht, kann mir auch am Tresen meiner Stammbar gestohlen bleiben.  Jeder, der übrigens jetzt behauptet, er wäre kein Facebook-Stalker, der ist entweder nicht bei Facebook, oder er lügt oder er hat andere, weitaus schlimmere voyeuristische Neigungen. Welchen Mann vor einigen Jahren bei “Sex and the City” noch das nackte Grauen überkam (“Sowas erzählt ihr Euren Freundinnen?”), dem sei versichert, dass das nichts ist im Vergleich zu heutigen Zuständen. Man nehme eine Handvoll beste Freundinnen, einen internetfähigen Computer und heraus kommt die unerbittliche Prüfung der männlichen virtuellen Existenz. Es gibt ja so viel zu sehen! Und ehe man alle Fotoalben durchgeklickt und alle Likes auseinander genommen hat, glaubt man zu wissen, mit was für einer Art Mensch man es zu tun hat.

Eigentlich bin ich nicht so. Eigentlich ziehe ich reale Kontakte den Virtuellen vor. Eigentlich bin ich gar nicht so oft online und eigentlich lässt es sich auch ohne iPhone ganz gut leben. Jaja. Facebook ist ein Eichhörnchen und Zuckerberg das personifizierte Böse. Leider kann ich diesem Internet noch nicht ganz abschwören. Für die Zukunft nehme ich mir aber unbedingt vor, öfter mal auf die Gesichter in meiner Freundesliste zu achten – damit ich sie wiedererkenne, wenn sie vor mir stehen.