Geld ist Zeit

Ökonomie des Theaters – klingt nach anstrengendem Hausarbeitsthema. Betrifft aber eigentlich jeden, der hingeht. Denn trotz großzügiger (?) Subventionen kostet eine Karte ja doch so zwischen fünf und zehn Euro. Folglich bezahle ich als Besucher für eine Dienstleistung respektive eine Form von Unterhaltung. Merke: Ein Stück, das acht Stunden dauert (so noch nicht erlebt) kostet nicht zwangsläufig mehr Eintritt als eine auf besucherfreundliche eineinhalb Stunden heruntergebrochene Inszenierung. Geld ist ja auch immer ein großes Thema, ganz besonders jetzt, wo alle von der Wirtschaftskrise reden und vom Niedergang der Kulturlandschaft Deutschland und vom schrumpfendem Etat und und…

Super unspannender Einstieg! Wer jetzt trotzdem weiterliest, erlebt die Rezensentin zum ersten Mal richtig wütend und richtig gemein.

Die Kontrakte des Kaufmanns” von Elfriede Jelinek an der Schaubühne. Regie: Pedro Martins Beja. Das Stück ist die Diplomarbeit seines Regiestudiums an der Ernst-Busch-Schule. Jelinek ist ja so eine Sache, da stellt man sich gleich mal darauf ein, dass man etwa ein Drittel des Textes nicht mitkriegen wird, weil man halt doch mal abschweift, zum Sitznachbarn schielt, zum Handy greift oder sich ein wenig in Gedanken verliert. Man könnte natürlich den Jelinek-Text lesen, aber ich bekenne mich mal frei dazu, es einmal versucht und dann aufgegeben zu haben (und stelle die Vermutung in den Raum, dass es Vielen so geht, auch wenn es vielleicht niemand zugeben mag).

Das soll nicht heißen, dass Abende mit/von Jelinek keinen Spaß machen. Kann schon auch gut werden. Kann aber auch richtig richtig schlimm werden, so erlebt in der Schaubühne. Am Anfang noch ganz angetan vom After-Hour-Partybild mit verwüsteter Tafel und halbvollen Gläsern Rotwein im Stil einer mutierten Form von der Teegesellschaft in “Alice im Wunderland.” Auch den Darsteller mit der Schweinemaske findet man noch amüsant, aber bereits hier fängt die Akustik an zu nerven, was sich im Laufe des Stücks zu einer wahren Tortur entwickelt. Schrille Töne, unerträglich laute Industrialsounds vom Mann mit dem Macbook (was sonst), der, offensichtlich von seiner eigenen Performance euphorisiert, im Hintergrund der Bühne in ekstatische Zuckungen verfällt, führen dazu, dass sich einige Zuschauer die Ohren zuhalten. Gute Idee – ich würde mir aber auch gleichzeitig gerne die Augen zuhalten und kann mich gar nicht entscheiden, wo jetzt die Priorität zu setzen ist.

Wir sehen nämlich: Einen Glaskasten, in dem ein Mann auf einen Seziertisch gefesselt und von einem weiteren Akteur, der sich einen Gummidildo umgeschnallt hat, nun ja, bearbeitet wird, während die nur notdürftig bekleideteten Frauen mit Geldscheinen werfen und ihre Brüste von innen gegen die Scheibe drücken. Könnte eine interessante Spielart des Wiener Aktionismus sein, ist aber noch viel schlimer als es sich liest. Wir sehen auch: jede Menge Kunstblut, das großzügig über Körper und Kleider sämtlicher Darsteller verteilt wird, wir sehen durch-die-Luft-fliegende Hähnchenteile und angeklebte Engelsflügel und wir können gar nicht glauben, dass Un-Ästhetik soviele Facetten haben kann. Schließlich, aus Angst vor einem Hörschaden und/oder vor einem Zusammenbruch des Kreislaufs, verlassen wir die Vorstellung vorzeitig. Tatsächlich fiepen die Ohren wie nach drei Tagen Festival.

Um noch einmal auf den unspannenden Einstieg zurückzukommen: Ist es nicht okay, mit einer gewissen Erwartung ins Theater zu gehen? Ist es nicht legitim, für sein Geld bestenfalls eine Bereicherung in jedweder Form zu bekommen und wenn nicht, dann zumindest ohne Kopfschmerzen das Theater zu verlassen? Ist der Kauf einer Karte nicht auch eine Investition? Und die Schaubühne eine Bad Bank und Pedro Martins Beja ein böser Investmentbanker, der mich um mein Erspartes bringt? Dieses Stück ist meine persönliche Wirtschaftskrise.

Später fällt uns ein, dass es sich bei den Kontrakten des Kaufmanns um die Diplomarbeit des Regisseurs handelt. Offensichtlich standen auf dem Lehrplan der Ernst-Busch sämtliche Formen von Provokation im zeitgenössischen Theater. Pollesch braucht ja schließlich einen Nachfolger. Ich sag mal: Meine Zensur wäre etwas anders ausgefallen. Setzen, sechs.