Guten Menschen kommen oft Ideen

Und alle so: Häh? Ist das Theater? Ein Plenum? Ein Thinktank? Sind wir Zuschauer oder Kunden? Schauen wir noch oder intervenieren wir schon? Thom Reinhard und Minka Truong präsentieren in „Invest in me“ Mikro-Utopien, die unsere Welt in naher Zukunft zu einem besseren Ort machen könnten. In Gestalt des „Social Entrepreneurs“ treten Menschen ans Rednerpult, die mit ihren Konzepten um Unterstützung für, nun ja, die gute Sache werben. Man könnte auch sagen: Sie sind auf der Suche nach Geldgebern. Jeder Zuschauer erhält vor Beginn des Stückes gegen ein Pfand von fünf Euro eine silberne Schatulle mit einem Laserpointer darin. Mittels dieses Laserpointers kann der Zuschauer seine Meinung zu belanglosen bis substantiellen Fragen kundtun. Wer im Publikum hat schon mal mehr als hundert Euro für ein Kleidungsstück ausgegeben? Wer findet, dass Geld stinkt? Wer würde mit Josef „Joe“ Ackermann ein Bier trinken gehen (für alle, die den Wirtschaftsteil gelegntlich überspringen: Das ist der Chef der Deutschen Bank)? Während bei der Mehrheit der Fragen, die auf direktem Weg auf das reine Gewissen abzielen, Unstimmigkeit herrscht, glauben ausnahmslos alle, durch Konsum etwas verändern zu können. Dies entspricht in etwa der populärkulturellen Diagnose der Generation der heute Zwanzig- bis Dreißigjährigen, die zwar nichts selbst hervorbringe, sondern lediglich bereits Vorhandenes zitiere, dafür aber über genug materielle Mittel verfüge, um durch ihre Konsumentscheidungen die Weltwirtschaft zu prägen.

Die vorgestellten Projekte sind viele kleine Tropfen auf den heißen Stein namens soziale Ungleichheit Schrägstrich Ressourcenverknappung Schrägstrich kollektive Verantwortung. Eine Idee wie die von Evelina Lundqvist, durch lokal produzierte Marmelade die Utopie einer müllfreien Gesellschaft zu erproben, muss man einfach putzig finden; man denkt da an erfüllte Mitarbeiter, die nach Tarifvertrag bezahlt und rentenversichert wasserlösliche Etiketten auf recycelte Einweckgläser pappen. Allein, damit täte man der Erfinderin Unrecht. Denn selbst, wenn der Marmeladenkonsum der Deutschen vermutlich unter dem von Honig, geschweige denn dem von Bier anzusiedeln ist, geht es doch um mehr als das morgendliche Pausenbrot: Um die Sensibilisierung für nachhaltigen Konsum. Auf einem ähnlich ehrenhaften Dampfer segelt Mario Sinnhofer, der einst aus einer kindlichen Neugierde heraus Fußbälle auf ihr Innenleben prüfte und so auf deren katastrophale Entstehungsbedingungen aufmerksam wurde. Heute lässt er als Eigentümer der Firma „Rasenreich“ in Pakistan Fußbälle herstellen, die nicht rund, sondern irgendwie deformiert sind, was erwiesenermaßen im Training die Geschicklichkeit steigert. Selbstredend zu fairen Löhnen und fairen Handelsbedingungen. Weil „Fair Trade“ im Sport noch ein Fremdwort ist und Sepp Blatter ein geldgeiles Schwein. Dann ist da noch Edmund Trollope, dessen hehres Ziel die Vernetzung von breiter Masse und elitärer Wissenschaft ist: Weißt Du, lieber Theaterbesucher, wie viel Sternlein am Himmel stehen? Nein? Dann geht es Dir wie allen anderen, denen mit der Website whatwedontknow.com geholfen werden kann: Hier teilen, neudeutsch: sharen Wissenschaftler ihre Forschungsergebnisse mit anderen Theoretikern und Journalisten packen dies in verständliche Texte, mundgerecht konsumierbar von jedermann. Erkenntnisgewinn Zweinull.

Streckenweise wähnt man sich statt in den Sophiensaelen beim Weltwirtschaftsforum – auch wenn man da natürlich nie war, reine Spekulation – oder beim kapitalismuskritischen Vortrag eines besonders ambitionierten Nachwuchsunternehmers. Von diesem Standpunkt aus betrachtet muss der Dramaturg Elias Gross als größter Gewinn betrachtet werden. In einem herrlich unbeholfenen Vortrag mokiert er sich über den Warencharakter von „Invest in me“, über das proklamierte Gutmenschentum, das pakistanische Arbeiter mit zwanzig Cent Lohn abspeist, auf dass sie sich nicht den Bombengürtel umschnallen. Nicht nur leiht er dem brenzligen Aspekt des Unternehmens seine Stimme; indem Gross sich als Angestellter zu erkennen gibt, legt er die Strukturen des Theaterapparats bloß, die nicht frei sind von wirtschaftlichen Dispositiven. Wie die anwesenden Social Entrepreneurs kann er als Dramaturg nicht von Luft und Liebe zum Gegenstand allein leben; sein Gehalt bezieht er von einer Institution, die ihrerseits Gewinn abwerfen muss, also auf Profit hin orientiert ist. Umso erfreulicher, dass er sich als bühnenscheu zu erkennen gibt, seinen „Pitch“ vom Fresszettel abliest und darin sein Missfallen einer Inszenierung gegenüber zum Ausdruck bringt, die, bei Licht betrachtet, mehr Werbeevent denn theatrales Ereignis ist. So schlägt er gewissermaßen die Tür zur kalten Wirklichkeit hinter sich zu und überführt den Abend zurück in die ästhetische Sphäre. Darauf einen Szenenapplaus! Vage Vermutung: Viele Zuschauer fühlen sich in diesem Moment, um es mal in werbedeutsch auszudrücken, da abgeholt, wo sie gerade stehen, was möglicherweise auch daran liegt, dass viele sich mit der prekären Existenz des Mitarbeiters im kreativen Sektor identifizieren.

Zuletzt erhebt sich in der ersten Reihe einer, der sich als Chef irgendeines Kreuzberger Unternehmens vorstellt, das zukünftige Social Entrepreneurs unterstützt und die vorgestellten Projekte auf ihre Realisierbarkeit prüft. Wem wird er seine Schatulle überreichen? Wie er sind die Zuschauer in der logischen Konsequenz des partizipativen Ansatzes von „Invest in me“ aufgefordert, ihre fünf Euro nicht zurückzuholen, sondern die Schatulle mit dem Laserpointer einem der Entrepreneurs zu überreichen. Auch der Dramaturg nimmt diese gerne entgegen. Anders als Evelina, Mario und Edmund wird er sie nicht gegen Bares eintauschen, um sein Projekt voranzutreiben, das ja auf einer immateriellen Klage über die Verwertungsgesellschaft basiert, sondern sie zerstören – wodurch Thom Truong ein Unkostenbeitrag von einem Euro und zwölf Cent entsteht, den der Zuschauer dann gefälligst auszugleichen hat. In letzter Instanz steht man also vor der Entscheidung, ob man der Kunst oder der guten Sache seine monetäre Aufmerksamkeit schenken will. Schön, wer sich gegen das Gutmenschentum und für die Freiheit der Ästhetik entscheidet: Die brauchen wir vielleicht mehr denn je.