Voilà: Eva Perla, ordentlichster Mensch unter der Sonne, in manchen Momenten nahezu verliebt in dieses Etwas namens Reinlichkeit, Aufgeräumtheit, diesen Zustand, wo alles seinen Platz hat. Es ist die Welt der Post-Its, der To-Do-Listen, wobei grundsätzlich der Anteil der schon erledigten Aufgaben überwiegt, der kleinen Kicks, die einem jeder weitere Haken auf diesen Listen bringt. Treuster Begleiter: Der Moleskine-Jahreskalender in Taschenformat (immerhin, so beruhige ich mich in neurotischen Momenten, reicht noch das A6-Format, es soll ja Leute geben, die eine DIN A4 Seite pro Tag benötigen!). So fortschrittlich, ja in mancherlei Hinsicht geradezu avantgardistisch ich mich fühle, so stur wehre ich mich gegen eine elektronische Lösung wie den iCalendar. Apple hat ja praktisch die Vollmacht über mich, was meine Musik, meine Fotos, meine Emails betrifft; dieses letzte Refugium, meine Tagesplanung, auch meine Adressliste und Sozialversicherungsnummer, will ich mir bewahren. So kommt es, dass ich stets mindestens einen Kugelschreiber, sowie einen Bleistift und einen Textmarker in Neon bei mir trage. Meine Pedanterie ergänzt nämlich noch ein ausgeprägter Sinn für Ästhetik, der mir diktiert, meinen Moleskine-Jahreskalender nicht bloß zweckmäßig vollzuschreiben, sondern auch noch fürs Auge ansprechend, also möglichst bunt, mit verschiedenen Typografien und immer wieder sinnvoll ergänzt durch liebevoll ausgeschnittene Bildchen, Ausgehtips, Rezepte etc. Der ideale Ort, um die nächsten vierzehn Tage oder das nächste halbe Jahr zu planen, ist demnach mein eigener Schreibtisch (definitiv Schreibtisch-Übergöße, leider keine Spezialanfertigung, sondern von IKEA, dafür Platz genug für das Sortiment einer Chefsekretärin), das Schlampermäppchen (ja, das heißt wirklich so! Alternativ auch Federmäppchen, aber das ulkige “schlampern” gefällt mir viel besser) in Reichweite, mit den Grundschul-typischen Utensilien wie Schere, Prittstift, Tesafilm, Bleistiftspitzer etc. Unnötig zu erwähnen, dass mein Schreibtisch weit davon entfernt ist, jemals auch nur kleinste Anzeichen von Chaos aufzuweisen. Alles, was da liegt, liegt, weil es so liegen soll, Kante auf Kante, jeder Bundeswehroffizier hätte seine helle Freude daran. Unter dem Schreibtisch reihen sich Ordner an Ordner, nach einem Lagerungsprinzip sortiert, auf das ich ganz besonders stolz bin. Da finden sich, neben den Unterlagen, die man halt so hat als Wohnungsbesitzer und deutscher Staatsbürger und lebender Mensch, die Kassenbons der vergangenen drei Jahre (nicht die von KAISERS, nur die großen Sachen, ganz so schlimm ist es dann doch nicht), für den Fall, dass mal etwa reklamiert werden möchte (und die Erfahrung zeigt: Es möchte durchaus), die Klarkomm-Man-Serie aus ZEIT Campus (Klarkomm-Man erklärt, welche Versicherung man braucht, wie man für später spart; “Klarkomm-Man wohnt schön und sein Vermieter kann ihm gar nichts”, “Klarkomm-Man besitzt die übermenschliche Kraft des Dinge-Erledigt-Kriegens” usw.), Praxisgebührbelege, Schufa-Auskünfte und eine nach Geschmacksrichtungen geordnete Rezeptsammlung.
Fischli und Weiss, diese Halbgötter der Schweizer Kunstszene, haben ein kleines Büchlein veröffentlicht mit dem Titel: „Ordnung und Reinlichkeit.“ Darin sezieren sie liebvoll-nachsichtig das Phänomen der Ordnungsliebe. Man bewegt sich da ja auf dem schmalen Grat zwischen gesundem Hygienebedürfnis und zwanghafter Pedanterie. Das Schweizer-Sein spielt eine nicht geringe Rolle bei den Beiden, man sagt den Schweizern ja so Einiges nach, wofür sie im Nachbarland belächelt werden und das Spiel mit Klischees ist nichts Neues. Passend dazu ist mir übrigens kürzlich die Rivella-Werbekampagne aufgefallen, die mit Slogans wie “Schweizer sind überpünktlich. Die trinken, bevor sie Durst haben” ebenfalls auf die Vorwegnahme einer Stereotypisierung setzt – bevor der Angreifer angreifen kann, gibt man sich selbst der Lächerlichkeit preis, indem man mit dem Grund des Angriffs kokettiert. Boshaftigkeit schlägt in Milde um.
Kürzlich stellte ein Autor, dessen Namen ich leider vergessen habe, die These vor, Leute, die gerne Stromberg schauten, seien überdurchschnittlich oft solche mit heimlicher Liebe zu bürokratischen Strukturen. Diesen viral um sich greifenden, exzessiven Serien-Konsum habe ich nie verstanden. Abgesehen von Sex and the City (was ich mir im Nachhinein mit dem Phänomen guilty pleasure erkläre, weil ich mit fünfzehn, sechzehn natürlich eine diebische Freude an allem hatte, was irgendwie nach Sex und Frauengesprächen und nicht nach Dr. Sommer klang) hat es keine Serie geschafft, mich länger als ein paar Folgen zu begeistern – mit Ausnahme von Stromberg, diesem Büro-Untermenschen, diesem kleinen Schlips-Diktator im Discounter-Drehstuhl. Was habe ich gelacht! Und das, obwohl der Büroalltag denkbar wenig mit meinem Eigenen zu tun hat. Liegt das wirklich daran, dass man sich als gefühlter Freiberufler/in (…doch, schon; alternativ auch: Teilzeitstudent/in, Kulturschaffende/r, Findungsphasezugehörige/r) insgeheim nach festen Strukturen sehnt? Nach einem Nine-to-Five-Job, nach Mittagspause in der Kantine und Raucherpause ohne Zigarette und Überstunden abfeiern (das, an alle Leser, die auch nicht im Büro arbeiten, heißt wirklich so. Gibt es ein schöneres Wort? Unsereins muss sich ja immer Gründe zum Feiern ausdenken)? Doch, schon. Andererseits hat es niemand treffender ausgedrückt als Christiane Rösinger in ihrem Essay „Wann? Ist egal, ich habe immer Zeit! – Das Leben der Lo-Fi-Bohème“ – kritisch, an manchen Stellen dem Zynismus nahe, aber alles in allem doch mit wohlwollendem Blick auf die Lebensrealität des Menschen ohne Anstellungsverhältnis.
Auch mein großes Vorbild Harald Martenstein, zu dem ich jede Woche angesichts seiner Kolumne im ZEIT magazin ehrfurchtsvoll aufblicke, hat sich kürzlich dem Thema Ordnung gewidmet, Konkret: Dem Aussortieren von Kleidungsstücken. Es gibt ja Leute, die sich von nichts trennen können, deren Schrankinhalt von Jahr zu Jahr ins Unermessliche wächst, die jedes Stück mit dem Argument verteidigen, es könnte ja irgendwann wieder in Mode kommen oder, noch gewitzter, ihre Kinder würden sich bestimmt mal darüber freuen. Stimmt, ich hab ja auch Mamas Fuchs eine Saison lang aufgetragen, obgleich ich täglich damit rechnete, von militanten Autonomen mit Farbbeuteln bespritzt zu werden. Dann soll es auch Leute geben, die gar nicht das Bedürfnis haben, neue Sachen zu kaufen, die standhaft jedem sogenannten Trend widerstehen wie die keusche Nonne den weltlichen Versuchungen. Dann geht das schon klar mit dem Horten. Oder man hat ein separates Zimmer/ Wohnung/ oder wie Herr Martenstein: Ein Sommerhaus mit Garten! für all die abgelegten Sachen. Weder das eine, noch das Andere trifft auf mich zu, also muss ab und zu sortiert werden, die Guten auf die Stange, die Schlechten in den Sack, wobei sich auch hier mein Hang, Dinge in Systeme einzuordnen, Bahn bricht. Es gibt den „Geht-gar-nicht-mehr-Stapel“, der sich dann gliedern wird in den „Flohmarkt-Sack“, den „Freundinnen-Tausch-Sack“, den „Freundinnen-Schenk-Sack“ und den „Rote-Kreuz-Container“ (zu gerne stelle ich mir vor, wie am anderen Ende der Welt eine junge Frau mit meinen Totenkopf-Chucks, meinem H&M Parka, meinen Miss-Sixty-Schlaghosen flaniert). Dann gibt es den „Geht-vielleicht-doch-noch-Stapel“, der einige Tage so bleibt wie er ist, auf dass sich die Teile darauf bewähren, um anschließend entweder dem ersten Stapel zum Opfer zu fallen oder Stapel Drei, dem „saisonalen Stapel“ zugeteilt zu werden (das sind die dicken Wollpullis und die Minishorts, was ich, zumindest im Fall der Wollpullis regelrecht zelebriere: Meine eigene kleine Winteraustreibung) oder Stapel Vier, dem „Schön-dass-ich-das-damals-gekauft-habe-Stapel.“ Funktioniert eigentlich ganz gut, mein System. Hat zweierlei angenehme Nebeneffekte: Mein Kleiderschrank, Schuhregal, meine Taschen-/ Gürtel-/ Accesoirekisten weisen stets jenen Grad an Aufgeräumtheit auf, den ich so schätze und es gibt immer einen Grund, neue Sachen zu kaufen, denn der gewonnene Platz will ja schließlich genutzt werden. Wunderbare Welt der Ordnung! Bei der letzten großen Ausräumaktion ist aber etwas sehr Bedauerliches geschehen. Verschiedene Faktoren (eine monatelange Abwesenheit, das Ende des Winters, ein neues Ordnungssystem in Form einer Kleiderstange) weiteten das Unterfangen zu einer mehrtägigen Aktion aus, an deren Ende ich die Stapel wohl selbst nicht mehr so recht überblickt habe. Einige Tage später nämlich kam es, dass ich unbedingt dieses eine Kleid tragen wollte. Jenes, das ich im letzten Sommer während meines Interrail-Trips in Barcelona von „völlig unbezahlbar“ auf „viel zu teuer, aber okay“ runtergehandelt habe. Das Kleid mit den pastellfarbenen Streifen, wegen dem ich mich – wie klischeehaft ist das bitte? – einige Tage lang nur von trockenen Brötchen und Billigkaffee ernähren konnte und immer den billigsten Wein trinken musste. Es war verschwunden. Eine vage Erinnerung überkam mich: Wie ich das Kleid aus der Umzugskiste holte, mich ein Gefühl von Wut und Unverständnis überkam, Wut über den hohen Preis und Unverständnis über den Grund der Reise als solche. Konnte das möglich sein? Konnte ich in einem Anflug von Unbeherrschtheit den falschen Stapel gewählt haben? War das Kleid aus Barcelona am Ende gar – im Restmüll gelandet? Ich habe es nicht wiedergefunden. Vielleicht, so stelle ich mir vor, fällt es mir eines schönen Tages wieder in die Hände, taucht an einem Ort auf, an dem ich es niemals vermutet hätte, den sich meine lebhafte Fantasie jetzt noch gar nicht ausmalen kann. Oder eben nicht. Dann hätte meine Ordnungsliebe ein erstes großes und tragisches Opfer gefunden.