Wer eventuell der dauerpräsenten Diskussion um die Priestersache leid ist oder sich wahlweise schon mal auf die nächste Familienfeier einstimmen möchte, dem empfehle ich (wieder mal?) “Das Fest.” Wenn man sich erst einmal an den Dogmastil gewöhnt hat – und vielleicht feststellt, dass dieser der Wunschvorstellung von cineastischer Perfektion wahrscheinlich näher kommt als sämtliche Blockbuster-Wegwerfartikel – folgt man der stetig auf die Eskalation zusteuernden Handlung so gebannt, dass an eine Klopause nicht zu denken ist. Trotzdem ich alleine schaue, Beobachtung aufgrund nicht vorhandener weiterer Personen also ausgeschlossen ist, schlage ich mehrmals ungläubig die Hand vor den Mund, reiße die Augen auf, murmle “krass!” in mich hinein.
Die Sympatien liegen klar bei Christian, der auf der Feier des sechzigsten Geburtstages seines Vaters den jahrelangen Missbrauch an ihm und seiner Schwester Linda, die sich kurz zuvor umgebracht hat, darlegt. Erst, das sollte noch erwähnt werden, nachdem der Vater einen Umschlag ausgewählt hat, denn Christian hat zwei Tischreden vorbereitet. Da kribbelt es natürlich gewaltig, hallo, was stand denn auf dem anderen Zettel? Für weiteres Krawallpotential sorgt der schwarze Freund von Christians Schwester Helene die – was ich für das erste und einzige wirklich dümmliche Klischee des Filmes halte – Ethnologie studiert. Spontan wird ein rassistisches Lied angestimmt und die ganze Festgesellschaft stimmt ein (wie war das noch mit den niederländischen Kommunalwahlen?). Gbatokai bleibt cool: “I know everything will be okay.” Glauben schenkt Christian vorerst sowieso niemand, erst der laut verlesene Abschiedsbrief der Verstorbenen Linda macht allen Anwesenden klar, dass es sich bei den Missbrauchsvorwürfen nicht um die Erfindung Christians und seines imaginären Freundes handelt. Die Situation kulminiert in der Aussage des Vaters: “Ihr hattet es nicht anders verdient.” Die wahrscheinlichste Reaktion bei wahrscheinlich 98 % der Zuschauer ist: Ungläubigkeit, Entsetzen. Man kann gar nicht entscheiden, was man jetzt schlimmer findet, den Vater als Personifikation des Bösen oder seine gluckende Frau, die der Sache offenbar tatenlos zusah.
In diesem Moment erinnere ich mich daran, dass am Wiener Burgtheater die Fortsetzung des Films als Theaterstück inszeniert wird. Der Regiseeur Thomas Vinterberg auf die Frage, wie denn die folgenden zehn Jahre des Vaters, also die Zeit nach seinem sechszigstem Geburtstag verlaufen sind: “Es waren die besten zehn Jahre seines Lebens. Die Wahrheit ist gesagt (kein O- Ton aber so in etwa).” Kann ich mir jetzt nicht so gut vorstellen. Zurück zum Film: Wie rettet man eine vergleichbare Situation? Gar nicht. Der Moderator, der die zunehmend betrunkenen Gäste durch den Abend manövrieren soll, versucht es dennoch: “Ich schlage vor, den Kaffee in den Nebenräumen einzunehmen. Dort kann auch getanzt werden.” Erneut kollektiv-stummes Entsetzen. Man möchte sich an die Stirn klatschen. Vielleicht ist es manchmal keine schlechte Idee, doch mal in Gottes Namen die Klappe zu halten.