Wäre mein Name Helene… Nein, von vorne, tatsächlich gleicht nicht nur das Verhältnis Frau – Mann (dazu bald mehr), sondern auch das der familiären Strukturen den Zuständen des 18. Jahrhunderts. Wir leben in einer Vetternwirtschaft und merken es nicht mal. Wäre mein Name also Helene Hegemann, hätte ich zwar ein fest geschnürtes Päckchen psychischer Problemchen, aber auch einen gewaltigen Karrierevorsprung. Mein Papa wäre dann Carl Hegemann und ich müsste niemals eine Stunde vor Vorstellungsbeginn in der Volksbühne rumstehen, sondern hätte immer freien Eintritt, weil mein Papa mal Chefdramaturg war. Mein Umzug nach Berlin hätte zwei Jahre früher stattgefunden und statt Abitur zu machen, hätte ich unzählige Latte Machiatos mit lactosefreier Milch in der Volksbühnenkantine getrunken.
Die Frage, wieviel Anteil Talent, prozentual gesehen, vererblich ist, wage ich nicht zu beantworten (dafür war ich im Biopflichtleistungskurs nicht aufmerksam genug). Neidlos gestehe ich hingegen, dass Helene durchaus schriftstellerisches Talent hat und hätte sie es nicht, hätte sie ja immer noch den Papa-Bonus und der ist in der Stadt der Kreativschaffenden schon ziemlich wertvoll.
Hieße ich hingegen, sagen wir, Annette, dann wäre meine Mama Schriftstellerin. Kinderbuchautorin. Anders als das bei Helene der Fall ist, kenne ich Annette wirklich (und nicht nur auf Facebookbasis!). Annette wirkt auf den ersten Blick sehr sympatisch. Sie hat viel zu erzählen, von ihren diversen Engagements am Theater und ihren hochgegriffenen Zukunftsplänen, die aber bei genauerer Betrachtung, nämlich unter Berücksichtigung ihres familiären Hintergrunds, gar nicht so hochgegriffen sind. Ihre Mama ist eine ebenfalls sehr sympatische Person (Auf den ersten Blick? Ich weiß es nicht), die voller Enthusiasmus von ihrem neuen Buch erzählt, in dem es ungefähr um ein kleines Mädchen geht, dass sich einen Hühnerstall von innen ansieht. Mein erster Gedanke: Toll! Meine Mama macht leider nichts auch nur ansatzweise Spannendes. Mein Papa auch nicht.
Man muss aber auch sagen, dass Annette die Angewohnheit hat, sich mitten im Gespräch einfach abzuwenden. Man monologisiert dann einfach weiter, um früher oder später festzustellen, dass man tatsächlich nur noch mit sich selbst spricht. Zu Anfang fand ich das nicht weiter schlimm, denn der Individualismus ist ja ein hochgelobte Errungenschaft unserer Generation. Bis ich feststellte, dass es sich nicht um einen einmaligen Fauxpas ihrerseits handelte. An dieser Stelle möchte ich gerne sagen: Meine Eltern sind toll. Sie haben mir wenigstens Manieren beigebracht.