Musikalische Späterziehung

Der erste Ton – kann man da von Ton sprechen, ist das nicht eher ein Impuls, ein Stoß? – auf jeden Fall ein Aufbruch. Am Anfang also muss es knallen. Oder anschleichen muss es sich, greifen danach, so oder so. Nach mir, meine ich, nach mir und meiner Aufmerksamkeit. Sonst schalte ich ja gleich weiter, das ist es ja, die Sache mit der Reizüberflutung, dem overkill und der Ökonomie der Aufmerksamkeit. Nicht jetzt, nicht hier.

Bass ist wichtig: erste und unverzichtbare Voraussetzung, also die Ausgangsituation, sprich die akustische Quelle, die dann im besten Fall basslastig sprudelt. Am Anfang nicht das Wort, sondern der Impuls, der übers Ohr seinen Weg findet ins Innenleben; Körpersäfte, Blutbahnen, Nervenfasern flutet, einnimmt und diese zunächst rein formal-physischen Körpervorgänge in Stimmung, Gefühl, Assoziation umwandelt. Das passiert und währendessen passiert noch was, die Klänge setzen sich nämlich fort. Zum ersten Ton, Klangimpuls tritt ein zweiter hinzu und noch einer. Schnell formiert sich ein Muster, man könnte sagen, eine Melodie, nur eben ohne Noten. Rhythmus. Spätestens jetzt, dann, wenn die aneinandergereihten Impulse sich zu einer Ordnung fügen, entscheide ich (als Hörende), ob ich das passieren lassen will; sonst push the button.

Wenn nicht, hat die Ordnung weiter Zeit, sich zu entfalten. Das Muster wird dichter, fächert sich auf wie ein Labyrinth oder ein Rhizom. Wie verschachtelt, verästelt, das hängt davon ab, wie minimal man bleiben möchte und das führt zwangsweise zur Einschätzung des Talents, respektive der kompositorischen Fähigkeiten des Urhebers.

In diesem Fall treten – durchaus klassisch, wage ich zu behaupten – immer mehr Elemente hinzu, die sich harmonisch zu einem fortwährend komplexeren Schema fügen. Nach den ersten Schlägen (und ja, Schläge im eigentlich-bildlichen Sinn!) tritt ein Schütteln hinzu, das an diese Holzrasseln erinnert, die, glaube ich mit Reis gefüllt sind. Unhörbar erst, dann fast nicht zu vernehmen, dann ganz leise und schließlich sich kontinuierlich steigernd ein Ton, sagen wir in mittlerer Tonlage, der doch von einem lebenden Wesen kommen muss, einer Frau, finde ich. Als Nächstes so etwas wie eine Meeresbrandung und Drums, abwechselnd von links und rechts. In den Pausen zwischen den einzelnen Elementgeräuschen kann man die flimmernde Luft wenn nicht hören, dann doch umso mehr fühlen.

Später dann ein durchdringendes Stakkato und dessen leicht zögerliches Echo. Klugerweise wird das eine oder das andere gleich wieder zurückgenommen, das Wollen und Sehnen so gesteigert. Fade in, fade out. So bleiben zeitweilig nur zwei, drei Elemente stehen und stehen so ganz für sich und das ist dann auch ein Innehalten, ein Moment der scheinbaren Ruhe, zum Luftholen und dann wird es wieder dichter, beinahe undurchdringlich, aber nur beinahe.

Wann ist genug? Es ist ein fundamentales Leitmotiv jeglicher kreativer Tätigkeit, eine Entscheidung, vor der jeder Kunstschaffende steht. In diesem Fall: Wann übersteigt die Anzahl der Elemente das akustische Aufnahmevermögen? Wann wirkt die Komposition nicht länger rund, sondern überladen?

Es klatscht, es klopft, surrt, ruckelt und drängt und stampft –

Nach dem ersten Drittel kommt dann dieser diesmal noch mehr menschenähnliche Klangkörper ins Spiel. Wieder weiblich (finde ich!) und noch dazu phonetisch, artikulierend?

Sie summt.

Ihr Summen geht – nicht nahtlos sondern einhergehend mit einem hörbaren Bruch – in eine Sirene über. Für Sirenen ist er sich also tatsächlich nicht zu schade und ich auch nicht, auch wenn sich das Ganze jetzt natürlich gefährlich nahe an der Grenze zu plattem Dorfdiskotechno bewegt. Aber nichts kippt, obwohl sich die Sirene jetzt höher und höher schraubt und ich mich jedes Mal frage (auch wenn, und dies sollte unbedingt erwähnt werden, diese Frage natürlich nicht ausformuliert wird, nicht einmal innerlich, denn ein musikalisches Empfinden beinhaltet Stimmungen, nicht Worte), wie hoch denn noch! – und ganz genau in der Mitte des Titels teilt ein whooop! den ersten vom zweiten Teil, die Sirene bleibt und erreicht bald ihren Höhepunkt und kehrt dann um. Augenblicke später setzt das Klopfen wieder ein und – schon beinahe am Ende – fühlt man sich an diese kleinen Handtrommeln, Bongos? erinnert und das ist überhaupt das Paradoxe, dass all das doch nur eine Imitation der Wirklichkeit ist, Produkt einer Maschine. Dann noch Aufschläge im Intervall wie ein Tennisball, der auf einen Schläger trifft.

Jedenfalls ist es jetzt fast zu Ende und alles wird nach und nach ausgeblendet, ein Vorgeschmack auf die bevorstehende Stille und was dann bleibt, ist der eine Impuls. Der gurgelnde, bohrende Bass, mit dem alles angefangen hat.
Zurück bleibt hörbare Stille.

Pause.

Play.