Schöne neue Burgtheaterwelt

Schön, dass viele Stationen der öffentlichen Verkehrsmittel den Namen der dortigen Theater tragen. Und wenn man dann aussteigt und davorsteht, kann man gar nicht aufhören zu staunen über soviel Pracht und Prunk und Protz. Es ist das Burgtheater und Ehrfurcht ist hier durchaus angebracht. Gespielt wird “Faust I” und es ist offensichtlich, dass niemand auch nur auf die Idee käme, hier mit Turnschuhen oder Schlimmerem aufzutreten. Viele ältere Herrschaften in Pelz und Frack und so weiter, aber entgegen der Vermutung fühlt sich das nicht komisch an, man ist gerne Zuschauer dieser eigenen kleinen Vorführung.

Dann das Stück. Dreineinhalb Stunden sind angekündigt, da muss man erst mal schlucken. Tatsächlich: keine Minute zu lang. Man fühlt sich wie im Zauberwald, es kracht und knallt und raucht und blinkt und brennt. Das erste starke Bild ist Faust, wie er auf der vollkommen dunklen Bühne sitzt, die einzige Lichtquelle ist der leuchtende Apfel. Faust als Apple-Nerd der Nuller-Jahre, was für ein gelungener Regieeinfall. Kurz darauf der erste Schreckmoment: der Protagonist macht sein Prestigeobjekt kaputt, er tritt darauf, wirft es auf den Boden, bis nichts mehr davon übrigbleibt. Ein Raunen geht durchs Publikum, wahrscheinlich beisst sich jeder Macbesitzer jetzt auf die Lippen oder schließt die Augen, eine Welle der Empathie, sozusagen. Die logische Frage ist dann: woher haben die soviel Geld? Dass Geld hier, sowohl, was das Publikum, als auch die Inszenierung als solche betrifft, keine Rolle spielt, liegt auf der Hand, man hat seit langer Zeit bei einem Theaterbesuch (und definitiv war das letzte Mal nicht in Berlin) das Gefühl, dass nirgendwo gespart wird. So kommt man in den Genuss, hollywoodreife Effekte mitzuerleben, Schaukeln, die sich vom Bühnenhimmel herablassen, Zauberwürfel, aus denen ein mehrere Meter hohes Monster hervorschaut und, zum Schluss, einen überdimensionalen Betonquader, der an einer Schnur baumelt, die dann angezündet wird und lautstark auf Gretchen herunterfällt.

Die offensichtlich anwesenden Schulklassen honorieren das Spektakel mit zahlreichen “Oooohhs” und “Ahhhs” und “Geil!” und immer wieder hört man ein ungläubiges Flüstern: “Wie machen die das?” Man fühlt sich dadurch zwar zumindest ansatzweise in seiner Kontemplation gestört, aber auch nicht mehr, als von dem Bildungsbürgerehepaar eine Reihe weiter hinten, das nicht widerstehen kann, ganze Passagen auswendig mitzusprechen. Und dann das Ensemble! Ohne Ausnahme wunderbare Schauspieler und ein Chor, der reinster Luxus ist, denn natürlich hätte man die Passagen auch von einzelnen Darstellern rezitieren lassen können.

Angesichts der Tatsache, dass es die erste Faust-Inszenierung der Rezensentin ist, vermag sie keine Vergleiche anzustellen, aber die Vermutung liegt nahe, dass eine solche Aufführung anderswo, ja, zum Beispiel in Berlin, so nicht vorzufinden wäre, weil dort nämlich alles, Ensemble, Requisiten, Bühnenvorgänge jeder Art, gestrafft, das heißt ausgedünnt worden wären. Das Problem der sterbenden Stadttheater scheint hier nicht zu existieren und, nebenbei bemerkt, kostet eine Karte für das Burgtheater fünf Euro oder 2,50 € für einen Stehplatz.

Man könnte nun natürlich argumentieren: weniger ist mehr, viel Optik, wenig Inhalt und so weiter und so fort. Fakt ist, dass es an der Inszenierung nichts auszusetzen gibt, dass hier eben nicht mit viel Geld und Aufwand eine möglicherweise fehlende Tiefe zu verstecken gesucht wurde, sondern niemals überzogene Regieinfälle mit tollen Schauspielern eine Verbindung eingehen. In Wien hat Kunst, Kultur, Theater wohl einen anderen Stellenwert als zuhause, was nicht zuletzt an der herrschenden Klasse des Bildungsbürgertums liegen mag und das kann man jetzt langweilig finden oder prätentiös, aber nach einem Abend im Burgtheater drängt sich die zaghafte Vermutung auf: arm ist eben nicht immer sexy.