Aus einer Laune heraus und mit der guten Ausrede, das Weihnachtsgeld irgendwie sinnvoll umsetzen zu müssen, beschließt die Verfasserin dieses Textes Ende des vergangenen Jahres, sich eine neue Brille zuzulegen. Nach ausgiebiger Internetrecherche fällt die Wahl auf ein kleines Geschäft Nähe Kollwitzplatz, dessen äußerst raffinierte Marketingstrategie darin besteht, getragene Modelle oder ungetragene, in diesem Fall also sogenannte Ladenhüter, zu horrenden Preisen an willige Szenemenschen zu bringen. Vintage eben. Da gibt es dann auch wirklich schöne Brillen. Die Schönste und die, welche am Besten zu Nase und Charakter der Trägerin passt, ist natürlich die Teuerste im ganzen Laden. Ich brauche Bedenkzeit.
Der ein oder andere Freund rät dann aber auf Nachfrage und Bildershow (denn die freundliche Mitarbeiterin versendet ein Foto per Email an den potentiellen Kunden, das gehört zum Service des Hauses) davon ab, sich so eine Art von Brille – groß, exzentrisch, mit schwarzem Plastikgestel l– zuzulegen. Hat doch jeder schon, ist doch schon durch irgendwie. “Willst du aussehen wie ein Mitte-Hipster?”
Die Süddeutsche Zeitung hat das Ende des Hipsters ausgerufen. Nicht ohne süffisant zu bemerken, dass ja eh keiner als solcher bezeichnet werden will. Interessant auch die – nicht ganz falsche – Bemerkung, der Hipster bemerke in seinem Distinktionswahn und seiner beinahe phobischen Angst vor Allem, was im weitesten Sinne mit Mainstream in Verbindung gebracht werden könnte, nicht, wie absolut unglaublich gewöhnlich er eigentlich sei. Jetzt.de nennt als äußere Distinktionsmermale einen Belanglosigkeit ausstrahlenden Jutebeutel und die Angewohnheit, die freie Zeit in Eckcafés vor seinem Macbook zu verbringen. Hinzu komme die vorgeblich liberale Haltung, die in Wahrheit eine Unideologische sei, ohne jegliche politische Motivation.
Weitaus differenzierter behandelt Mark Greif, ebenfalls in der Süddeutschen Zeitung, das Phänomen. Neben den Ursprüngen des Hipsters, die in der schwarzen Subkultur der 1940er-Jahre liegen, lernen wir allerlei über Aufstieg und Fall dieser tragischen Figur. Bitte lesen! Da stehen dann nämlich so zauberhafte Wahrheiten wie: Der historische Hipster sei ausnahmslos männlich gewesen, Frauen habe er allenfalls als Polaroid-Musen gelten lassen.
Unweigerlich fragt man sich: Gibt es einen Hipster, vielleicht sogar mehrere, im eigenen Freundeskreis? Von da ist es nicht mehr weit bis zur schamvollen Selbstreflektion: Wie viel Hipster steckt in mir? Nun wohnt die Verfasserin zwar in Berlin, aber – Gott sei Dank! – im Simon-Dach-Kiez und der hatte seine Hochphase schon vor ihrer Zeit, sprich vor der Zeit, von wo ab sie da gewohnt hat. Friedrichshain als solches ist ja so mainstream-bobo-verseucht, dass es schon fast wieder cool ist.
Überhaupt das Wort Bobo (Neologismus und Oxymoron)! Wikipedia zufolge trifft man den gemeinen Vertreter der Spezies Bobo zum Beispiel in der Kastanienallee (Berlin), in Wien dagegen am Naschmarkt, im Museumsquartier und am Spittelberg. Wieder muss man schlucken, denn all diese Orte würde man ohne schlechtes Gewissen ortsunkundigen Besuchern als besonders sehenswert vorstellen. Sowieso lässt sich die Aufzählung beliebig fortführen. In Berlin zählt ganz bestimmt die Alte Schönhauser Allee dazu (oh nein, da gibts doch die beste Pasta beim “Mädchenitaliener”), der Boxhangener Platz (aber Friedrichshain fällt ja nun doch raus, siehe oben) und ganz bestimmt der Mauerpark.
Hierzu fällt mir dann auch gleich wieder der zauberhafte Artikel im Zeit Magazin ein, der leider viel zu kurze Zeit den heimischen Kühlschrank schmückte. Mehr Glück können diese Mädchen kaum empfinden. Außer vielleicht in ihrem netten WG-Zimmer in Friedrichshain (sic!) oder Kreuzberg oder bei einem supi-dupi Sonntag im Mauerpark. Da wird dann Ausschau gehalten nach Vintage-Mode und schönen Szene-Jungs und viel Club Mate getrunken. Club Mate gibts übrigens weder in der süddeutschen Provinz, noch – bis auf ein paar wenige Ausnahmen – in Wien. Vielleicht ist Wien deshalb mehr als nur eine temporäre Alternative. Dann allerdings müsste man konsequenterweise nicht nur seine Adresse, sondern auch vieles anderes ändern. Auch so eine Sache: Der Hipster sieht sich selbst als unpolitisch und steht dem, wenn auch nicht mit Stolz, so doch mit Gleichgültigkeit gegenüber; womit auch sonst?
Umso interessierter ist der Hipster natürlich an Allem, was im weitesten Sinn mit Kunst, Kultur, Szene zu tun hat. Deshalb arbeitet er ja auch im kreativen Bereich. Gehen Hipster eigentlich ins Theater? Ist Žižek lesen subversiv oder reicht auch schon Goetz oder reicht es sogar schon, nicht bloß die Vice zu lesen? Wo hört show-off auf, wo fängt poiltisches Engagement an? Wahrscheinlich nicht bei einem Besuch der Volksbühne. Und die wichtigste Frage: Was kommt dann? Was kommt morgen? Denn anders als bei anderen Subkulturen, denen wohl fast jeder mal angehört hat, denn alle wollen doch Teil einer Jugendbewegung sein, wächst man vielleicht aus den Chucks irgendwann heraus, aber wie ist das mit den neuen Chelsea Boots? Also, was kommt nach der Nerd-Brille? Was kommt nach dem Jutebeutel? (Ich gehe übrigens gerne Kaffee trinken im St.Oberholz und Waffeln essen bei Kauf dich glücklich. Jetzt ist es raus.)
Vielleicht rettet einen wie so oft schlussendlich die Selbstreflexion. Vielleicht geht es darum, das Bewusstsein für diese eine Haltung, hipster oder nicht, zu entwickeln, die man da nach Außen trägt und eben auch für alles andere. Am Besten gleich auf den Jutesack draufgepackt die Haltung! Den behalte ich nämlich vorerst. Logischerweise könnte dann auch das Kassengestell ein ironisches Zitat sein.
Ich habe mir dann doch keine überteuerte italienische Vintagebrille im Brillenladen am Kollwitzplatz gekauft. Das ist doch schon mal ein Anfang.