Über Sinn und Unsinn des wissenschaftlichen Arbeitens

Zweimal im Jahr, in der so genannten vorlesungsfreien Zeit nämlich, die nicht nur rein sprachlich gesehen auf keinsten Fall zu verwechseln ist mit den umgangssprachlich gerne gleichgesetzten Ferien, in dieser Zeit also treten vermehrt folgende Phänomene auf:
– Die Wohnung/WG/temporäre Unterkunft ist jetzt immer viel ordentlicher. Regelmäßige Entleerung des Mülls. Penible Einhaltung des Putzplans. Gerne zusätzliches Putzen, auch wenn man gerade nicht dran ist. Überdurchschnittlich häufige Einkäufe bei Kaisers, inklusive Pfandflaschen wegbringen.
– Hohe Akzeptanz aller Faktoren, die das Vorankommen der Hausarbeiten behindern: Die Bibliothek ist zu voll, man kann keinen Arbeitsplatz finden. Die Schließfächer mit Schlüssel sind alle vergeben und ich habe es immer noch nicht geschafft, ein Vorhängeschloss zu kaufen. Es ist Homezone-Zeit in der HU Bibliothek. Die Bibliothek ist dann Studenten der HU vorbehalten (täglich zwischen 7-22 Uhr, also immer). Ausweis bitte gut sichtbar auf den Tisch legen, um störenden Nachfragen vorzubeugen.
– Erhöhte Gereiztheit.
Das ist das Schlimmste: Die durch (im Studium mühsam antrainierte) intensive Selbstreflexion entstandene Erkenntnis, dass man seinen Mitmenschen mit dem Gejammere (Ich kann es gar nicht schaffen! Alle anderen sind schon viel weiter! Ich kann mich gar nicht aufraffen!) unglaublich auf die Nerven geht.

Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung, sagt meine Mama. Man muss sich deshalb immer wieder klar machen, dass es gerade schätzungsweise 130 000 anderen Menschen in Berlin (okay, die Zahl ist gegoogelt) genauso geht wie einem selbst und dass viele höchstwahrscheinlich trotzdem gerade eine echt gute Zeit haben.
Interessant ist auch die immer wieder aufs neue überraschende Beobachtung, dass es trotzdem am Ende irgendwie geht. Sei es, weil einige Dozenten offenbar genauso viele andere Dinge im Kopf haben wie ich (O-Ton einer Email-Korrespondenz: “Liebe Frau Biringer, ich selbst kenne den Termin XY nicht, aber wie dem auch sei, wenn Sie die Arbeit bis Mitte XY schicken ist das in Ordnung.”), weil die Termine auch sonst meistens Auslegungssache sind (es kursieren Gerüchte von Arbeiten, die mit dreijähriger Verspätung eingereicht und trotzdem angenommen wurden) oder weil man kurz vor Schluss feststellt, dass es eigentlich doch total interessant ist, über “Subversion in Springfield – Die gesellschaftspolitischen Implikationen von The Simpsons” nachzudenken und das Ergebnis vielleicht auch irgendeinen Mehrwert hat, was ja immer schön ist.

Ich weiß ganz genau, was ich auf die zwei Fragen antworten würde, die im ZEIT Campus Magazin immer auf der letzten Seite Studenten gestellt werden, die gerade aus ihrer Abschlussprüfung kommen, nämlich:
– Was hast du im Studium gelernt?
Antwort: Kunsthistorische Grundkenntnisse. Immer alles noch mal hinterfragen, vor allem sich selbst. Das Leben ist ein Theater.
– Und was hast du wirklich gelernt?
Antwort: Produktives Scheitern. Mit Überforderung klarkommen. Und: entspannen!

Das Zauberwort heißt natürlich Zeitmanagement, Selbstdisziplin, intrinsische Motivation und so weiter und so fort – aber das ist ja hier nicht Bayreuth oder Wuppertal, sondern die tollste Stadt der Welt, wo jede Minute soviel passiert wie anderswo wahrscheinlich nicht in zwei Tagen und wo es soviel absolut tolle Dinge gibt, mit denen man so einen Sommertag verbringen kann und auch eine Sommernacht und darum gehe ich jetzt auch los und schaue mal, was passiert.