… und wir warten auf das Licht

Dunkel ist es viel zu früh. Wenn man am Wochenende nicht aufpasst, wünscht einem die FM4-Moderatorin am Frühtstückstisch einen “schönen Abend”. Das deprimiert; noch mehr deprimiert, dass auf diesem Tisch nicht mal eine Kerze brennt, geschweige denn drei. Es ist dunkel, es ist finster und wir warten auf das Licht. Früher in der Bärengruppe des Straßberger Kindergartens hat dieses Lied einem so ein wohlig-warmes Gefühl beschert. Alles Vorfreuede natürlich auf den Heiligabend und, wenn man ehrlich ist, am meisten auf die tatsächliche Bescherung, wenn sich das Christkind erbarmte und mit wenig segensreichen Geschenken wie dem Barbie Pferdemobil oder dem Polly Pocket Märchenschloss aufwartete. Meine Eltern haben mir übrigens nie vorgelogen, es gebe wirklich so eine Art goldgelocktes Mädchen (oder ist das Christkind männlichen Geschlechts?), das Schuld am Nachmittagsspaziergang des 24. Dezembers ist, weil es Zeit braucht, die Sachen unter dem Baum hübsch zu arrangieren. Wobei sich daran bestimmt die Geister der Erziehungswissenschaftler scheiden, braucht ein Kind Raum für Imagination oder soll es früh mit einem rationalen Wahrheitsbegriff vertraut gemacht werden undsoweiter. Auch ohne herbeifantastiertes Weihnachtspersonal hatte ich meine helle Freude. Ganz früher wurde bei uns sogar unterm Tannenbaum gesungen, Stille Nacht, heilige Nacht zum Beispiel, das konnten alle. Weil es sich als Bewohner eines 3000-Seelen Ortes in der tendenziell katholischen, definitiv aber traditionsreichen süddeutschen Provinz so gehört, besuchten wir auch Jahr für Jahr den Familiengottesdienst. Der war gar nicht so langweilig, was auch daran lag, dass die Kinder mit Hefeweihnachtsmännern aus der Dorfbäckerei bei Laune gehalten wurden und man beim anschließenden Vor-der-Kirche-stehen alle Nachbarn traf und schon mal vorfühlen konnte, wer was geschenkt bekommen würde (was nämlich eigentlich schon vorher klar war. Die Wirtschaftskrise lag da noch in ferner Zukunft!), ergo, mit wem es sich in nächster Zeit besonders lohnen würde, sich zum Playmobil spielen zu verabreden.

All das war in der Adventszeit gefühlte zweihundert Tage entfernt und trotzdem verstand ich damals schon, dass an dem ollen Spruch “Vorfreude ist die schönste Freude” was dran war. Jeder der dreiundzwanzig Tage wartete mit kleinen Vorfreuden auf: Ganz vordergründig natürlich das Türchen am Adventskalender, der in guten Jahren aus kleinen Stoffbeuteln in Form von Glocken, Zuckerstangen und Tannenbäumen bestand, von meiner Mama eigenhändig gefüllt mit Süßigkeiten, Radiergummis mit Einhörnen drauf und dergleichen. In weniger guten Jahren gab ich mich aber auch mit dem Schokokalender von Aldi zufrieden. Geradezu euphorische Begeisterung lösten die Himmelsbackstube und die Nikoloaushütte von Playmobil aus. Am 24. hatte ich endlich alles beisammen, um den Backstubenbetrieb in meiner Pappkulisse am Laufen zu halten (und wieder was fürs Leben gelernt, nämlich, dass eine gut ausgestattete Küche das A und O ist). Dann aber auch so kleine Freuden wie Plätzchenbacken, Grußkarten basteln, beim ersten Schnee auf dem Dorfhügel Bob zu fahren (ist das für Kinder heute noch ein Thema?). Mit fortschreitendem Alter dann die Feuerzangenbowle, ein Ereignis, dessen Geselligkeitscharakter kaum hoch genug zu schätzen ist und das meine Mama mit heiligem Ernst zelebrierte. Nicht zu vergessen die Krippe, die einige Tage vor Weihnachten aufgebaut wurde, von mir höchstpersönlich. Womit der Umstand zu erklären ist, dass fast allen Holzfiguren eines oder mehrere Körperteile fehlen oder wenigstens der Hirtenstab des Josef wieder und wieder angeklebt werden musste. Nach etlichen Jahren kann ich aber stolz behaupten, heute auf die beiliegende Anleitung komplett verzichten zu können.

Advent, Advent ein Lichtlein brennt. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, dann steht das Christkind vor der Tür. Das mit dem Christkind haben wir ja oben geklärt, aber die Sache bei den Lichtlein musste alles seine Ordnung haben. Die erste Kerze auf dem Adventskranz (fertig gekauft, mit Schleifen, Zimtsternen und frischem Tannenreisig verschönert) wurde am ersten Advent entzündet, die vierte am Vierten, keine Ausnahme. Um Gottes Willen nicht vorzeitig eine Unberührte anbrennen, gleichmäßig heruntergebrannte Kerzenstummel sind vielleicht schön fürs Auge, aber im Hause Perla ausgeschlossen (gibt nicht allein die Frage, wie eine Familie mit ihrem Adventskranz verfährt Anlass für allerlei Gedankenspielerei?). Im schlimmsten Fall, dann nämlich wenn der vierte Advent auf den Heiligen Abend fiel, stand eben ein trauriger Kerzenrest neben einem stolzen, weil gerade eben zum ersten mal entflammtem Docht.

Und heute? Wenn bei mir eine Kerze brennt, dann ein einsames Exemplar und das riecht dann maximal nach “Kaminfeuer” oder “Lebkuchen”. Vorbei die Zeit der Wunschzettel, das wird heute am Telefon durchgegeben oder der Link direkt per Email versendet. Vorbei auch die Zeit, in der man in Gemeinschaftsräumen (erst in der Bärengruppe, später in der Schlossgarten-Grundschule) das Licht ausmachte, Kerzen anzündete, es sich mit selbtgebackenen Plätzchen gemütlich machte und Lieder sang. Oder Weihnachtssterne bastelte. Oder einer vorweihnachtlich gefärbten Geschichte lauschte. Selbst das Türchen am Adventskalender ist nur noch ein Virtuelles. Und nicht nur das: Weil es sich um die Gewinnspiele des Heiter bis glücklich Blogs auf ZEIT online und dem des SZ Magazins handelt und ich bisher weder den 1000 € Gutschein für ASOS, noch das Wochenende auf der Almhütte oder die Seifenblasen in Luftschlossform gewonnen habe, das Gegenteil von einem Gabentisch.

Mein Heureka hatte ich kürzlich am S-Bahnhof Friedrichstraße, der offensichtlich ganz und gar von Esprit aufgekauft wurde und an dem einem jetzt aus allen Ecken süffig grinsende Models, Typ “Mädchen von nebenan”, mit ihren “Herzenswünschen” auf die Pelle rücken. Ob Anna sich einen Welpen wünscht oder Katja “alles Liebe für ihre Lieben”, ist mir, mit Verlaub, scheissegal. Klar liegt der Vorwurf vom Kulturpessimismus auf der Hand oder das Lamento im Sinn von “Früher war die Welt noch in Ordnung”. Wer verdreht nicht die Augen, wenn die ersten Spekulatius-Tüten im September in den Supermarktregalen stehen? Wer schüttelt nicht den Kopf über die Leute, die an den Adventstagen in den Konsumkrieg ziehen, als stehe der Jüngste Tag vor der Tür und nicht das Fest der Besinnlichkeit, um dann ziemlich sicher festzustellen, dass er selbst einer von ihnen ist (oder alle Geschenke bei Amazon kauft, die praktischerweise gleich in gold-rotes Papier gewickelt werden)? Trotzdem kann sich Weihnachten nicht im Konsum alkholischer Heissgetränke und Lebkuchen-Latte erschöpfen und solch unsäglich dummer und perfider Imagekampagnen wie der von Esprit.

Gegen die Dunkelheit kann man nichts ausrichten. Gegen den Ausverkauf von etwas, das einem aus Kindheitstagen in so leuchtender Erinnerung geblieben ist, dass es einem noch immer ein Gefühl von Zuhause und Behaglichkeit gibt, schon. Man kann sich mit Freunden treffen, um Plätzchen zu backen oder Christstollen (mal was anderes!) oder Christstollen in Rentierform oder man lädt alle ein zur Feuerzangenbowle (fällt dann wieder in die Kategorie “Alkoholisches Heißgetränk”, ist aber immerhin selbstgemacht und versetzt alle in ganz wunderbar-weihnachtliche Stimmung, versprochen). Man kann Karten selbst basteln, anstatt per Facebook doofe virtuelle Rundmails zu schicken oder (Gott bewahre) personalisierte Spammails über grußkartenportal.de. Man kann an Stelle der fünfundvierzigsten Seife oder des hunderzwanzigsten Essensgutscheins im Namen des Beschenkten einer Familie in Ruanda eine Ziege kaufen (hat sich bewährt!). Wenn gar nichts mehr hilft: Wenn ich glaube, bald vom Coca Cola Weihnachtstruck überrollt zu werden(im übertragenen Sinn) oder mich wegen der Dauerberieselung mit schlechten Weihnachtsliedern dem Zustand totaler Verblödung nahe fühle, dann werfe ich einen Blick in den Kalender. Früher hieß es: “Noch fünf mal schlafen bis das Christkind kommt” und irgendwann: Morgen kommt der Weihnachtsmann! Und jetzt? Kann ich es kaum erwarten, nach Hause zu fahren. Da hat sich nämlich bisher zuverlässig alle Jahre wieder das Weihnachtsgefühl eingestellt, wenn es sein muss, auch noch am Morgen des 24. Dezembers. I’m driving home for christmas hat auch die eingängigere Melodie.